DISTANZ tanzen: Wen Corona jetzt zu neuen Choreografien inspiriert hat

DIS-TANZ wird wohl das Wort der Saison 2020/21. In Mönchengladbach wird ab September ein so betiteltes Stück gezeigt und auch in Münster geht Choreograf Hans-Henning Paar mit diesem Stichwort ins Rennen. „DIS-TANZEN“ heißt zudem auch ein Teil des Hilfsprogramms für die freie Tanzszene in Deutschland, die zu „Neustart Kultur“ gehört, einem Rettungs- und Zukunftsprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Naheliegender geht es nicht, Produktionen, die sich mit den Lebensumständen und Regeln der vergangenen Monate auseinandersetzen, so zu betiteln. Die Chance in der Krise sehen viele Choreografen und Compagnien. Sie kommen jetzt mit Stücken auf die Bühnen, die sich entweder thematisch mit dem Alltag während Corona oder weltanschaulich-philosophischen Fragen beschäftigen. Und: Klassiker und Teile von bestehenden Choreografien wurden bearbeitet und angepasst. Wir hätten es wohl gerne anders, freier, aber das wird doch auch sehr spannend, oder?

Ich habe Euch ein paar Beispiele fürs Distanz-Tanzen herausgesucht:

DIS-TANZ in Mönchengladbach

Was bedeutet Tanz mit Dis-tanz?, fragt auch das Theater Krefeld Mönchengladbach. „Robert North lotet fantasievoll und kreativ die Möglichkeiten aus, trotz gewisser Einschränkungen interessante, stilistisch unterschiedliche Choreografien zu präsentieren, darunter Szenen aus seinem zutiefst bewegenden, persönlichen Klassiker „Der Tod und das Mädchen“ nach dem berühmten Streichquartett von Schubert“, heißt es in der Programmbeschreibung. Ergänzt wird der Abend mit zwei Stücke von jungen Nachwuchschoreografen: Alessandro Borghesani und Takashi Kondo. DIS-TANZ hat am 5. September in Mönchengladbach Premiere.

Staatsballett Berlin: LAB_WORKS COVID_19: CHOREOGRAPHIEN AUS DER ISOLATION

Die erste Bühnen-Neuproduktion des Staatsballetts Berlin nach dem Lockdown wird gestaltet von Choreograph*innen aus dem Ensemble: Alexander Abdukarimov, Arshak Ghalumyan, Andreas Heise (für Yolanda Correa), Vivian Koohnavard, Olaf Kollmannsperger, Ross Martinson, Johnny McMillan, Dana Pajarillaga und Tara Samaya haben in der Zeit der häuslichen Isolation für sich selbst und/oder die im Haushalt befindlichen Kolleg*innen Choreographien entwickelt.

 „Die acht Uraufführungen reichen von Soli über Pas de deux bis hin zu einer Arbeit mit sieben Interpreten, wobei ein weites Spektrum an Tanzsprachen dargeboten wird. Daraus haben sich die unterschiedlichsten Herangehensweisen ergeben, vom Spiel mit überdimensionalen Plastikbällen, in denen die Tänzer*innen sich wie in einem eigenen Kosmos bewegen, über den Einsatz von digitalen Hilfsmitteln, mit denen die Tanzenden die Musik „komponieren“ und Lichteffekte steuern“, heißt es in einer Pressemitteilung. Und weiter: Musik von Franz Schubert, Radiohead, Frank Ocean oder auch selbst Komponiertes und Sprache kommen zum Einsatz, mal um 800 Prozent in die Länge gezogen, mal vorwärts und dann rückwärts abgespielt. Inhaltlich wird über Fragen reflektiert, wie die Notwendigkeit von Nähe und nahestehenden Personen oder Arten von persönlichem und gesellschaftlichem Rückhalt. Futuristische Vorstellungen der Welt mit dem Virus treffen auf Gruppenbewegungen, die das kollektive Bewusstsein ansprechen.

Theater Münster: DIS-TANZ

Auch in Münster geht man mit dem Titel DIS-TANZ an den Start. Choreograf und Compagnie-Leiter Hans Henning Paar will die Einschränkungen als Möglichkeit für eine ungewohnte Herangehensweise sehen und versteht sie als „Versuchsanordnung, die im Spannungsfeld von Stillstand und Rastlosigkeit mit dem steten Wechsel von Emotionen spielt. In der Vermessung formaler Möglichkeiten von Bewegung und dem Ausloten von Nähe und Ferne entstehen neue Perspektiven und andere Formen von Begegnung und Kommunikation – eine neue Realität.“ Elf Tänzer sind in der Besetzung vorgesehen. Premiere feiert DIS-TANZ am 12. September.

Hans Henning Paar, Leiter des Tanztheaters in Münster, nennt seine Arbeit ebenfalls DIS-TANZ. Foto: Oliver Berg

„Response“ beim Stuttgarter Ballett

In Stuttgart schaffte man es noch vor der Sommerpause, im Juli, mit „Response“ einen entsprechenden Abend zu zeigen. Der SWR berichtete von „Begeisterungsstürmen“ (schöner Hörfunkbeitrag und Videobeitrag!). Das Publikum hatte ja auch lange genug gehungert. Kern des Programms beim Stuttgarter Ballett sind drei Uraufführungen der Hauschoreografen Fabio Adorisio, Roman Novitzky und Louis Stiens, die die Aufgabe bekamen, drei Stücke zu entwickeln, die den aktuellen Auflagen entsprechen. Drumherum hat Ballettintendant Tamas Detrich Teile von Stücken platziert, die coronagerecht angepasst wurden und damit zu einer ganz eigenen Interpretationsform werden. Beispiel: Maurice Béjarts „Bolero“, der anstatt mit 40 Tänzern nun mit acht auf die Bühne kam (u.a. Friedemann Vogel, der den Deutschen Tanzpreis 2020 erhielt).

Response I wird nach der Ferienpause wieder ab 17. Oktober gezeigt, Response II – eine neue Zusammenstellung – ab 30. Oktober.

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ABSTAND im Theater Dortmund

In Dortmund hat man eine sehr schöne Formulierung für die aktuelle Situation gefunden: „Unseren zwischenmenschlichen Bedürfnissen ist momentan ein Bremsweg verordnet.“ Wie mag es erst den Tänzern gehen, für die das Gestalten untrennbar mit dem Körper zusammenhängt, wenn wir uns schon in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlen? Intendant und Hauschoreograf Xing Peng Wang hat das Stück „Abstand“ kreiert und verweist aufs Chinesische:  „In meiner Muttersprache besteht das Wort für ‚Krise‘ aus zwei Zeichen. Jedes für sich gelesen, bedeuten sie: ‚Gefahr‘ und ‚Chance‘. Wir sind in Gefahr. Wir haben eine Chance. Vieles ist nicht mehr so, wie wir es gewohnt sind. Manches wird nie wieder so sein. Nichts ist mehr selbstverständlich und jede Möglichkeit ein Geschenk. Tanz ist Demut vor dem Leben. Tanz ist Hoffnung. Für uns alle.“ ABSTAND wird am 17. Oktober uraufgeführt.

Xing Peng Wang, Intendant des Ballett Dortmund. Foto: Maria Helena Buckley.

STARTBAHN und TOUCH am Staatstheater Darmstadt

Geplant war „Startbahn“ schon vor Corona – die Tänzer des Ensembles am Staatstheater Darmstadt sollten erneut die Möglichkeit haben, erste choreografische Schritte zu gehen. Was entwickelt und noch vor der Sommerpause gezeigt wurde, sei stark von der Ausnahmesituation geprägt worden, so die Macher. Man habe die Herausforderung angenommen, „den Tanz ganz neu zu denken“. Alessio Damiani beispielsweise will in „Mask 1522″ danach fragen, wie Gewalt in der Liebe existieren kann? Dieses Oxymoron untersucht er vor dem Hintergrund einer häuslichen Gewaltzunahme gegenüber Frauen während des sogenannten Lockdowns“, heißt es. Jeweils sechs Tänzerinnen und Tänzer kreierten einen Abend – es gibt STARTBAHN 1 (Wiederaufnahme ab 18. September) und STARTBAHN 2 (Wiederaufnahme ab 19. September).

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Trailer zu STARTBAHN I des Staatstheaters Darmstadt
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Trailer zu STARTBAHN II des Staatstheaters Darmstadt.

„TOUCH“ wiederum heißt die Produkton, mit der die Sebastian Weber Dance Company am 11. und 12. September Gast in Darmstadt sein wird. Eine 36 qm große Sandfläche, auf der ein Tanzpaar agiert, soll sich dann ein „Tänzerpaar aus verschlungener Stille zuerst langsam, dann immer verspielter und selbstbewusster in einen Wirbel aus Nähe und Distanz“ begeben.

Szene aus TOUCH der Sebastian Weber Dance Company, Leipzig. Foto: Tom Dachs

GHOST LIGHT mit dem Hamburg Ballett John Neumeier

Raum, Regeln für den Raum, Abstandsmaße – wieso das nicht zur Grundlage eines Werkes machen, dass sich ganz konstruktiv mit den Vorgaben beschäftigt, die Künstler und Publikum vor COVID-19-Ansteckungen schützen soll? John Neumeier hat eine Arbeit entwickelt, die „das geltende Abstandsgebot nicht nur respektiert, sondern es zugleich zur Grundlage der Struktur macht“, wie es in Hamburg heißt. Das Hamburg Ballett habe als eine der ersten Compagnien nach dem Shutdown wieder die Probenarbeit im Ballettsaal aufgenommen, und zwar in Kleingruppen und während zehn Ballett-Trainings über den Tag hinweg. Versprochen werden sorgsam arrangierte Miniaturen. Die Uraufführung von GHOSTLIGHT ist für den 6. September geplant, ab 24. August startet der Vorverkauf. Hier ist es sicher ratsam, schnell zu sein.

John Neumeier macht das Abstandsgebot zur Strukur seines Stückes GHOST LIGHT. Foto: Kiran West
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